Sommertagung des AK Demokratie 2025
Tagungsbericht: „When practice meets theory“: Brauchen wir mehr Selbstevaluation in der Demokratieförderung? // 05.06.2025 // Sommertagung Arbeitskreis Demokratie (DeGEval) & PrEval Zukunftswerkstätten
Am 5. und 6. Juni 2025 fand in Berlin zum vierten Mal die Tagung des Arbeitskreises Demokratie (DeGEval) in Kooperation mit PrEval statt. Auch in diesem Jahr setzten wir uns mit einer für die Demokratieförderung und Extremismusprävention zunehmend relevanten Frage auseinander: Welche Rolle kann und sollte Selbstevaluation in diesen Handlungsfeldern einnehmen? Die Veranstaltung am Deutschen Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung (DeZIM) brachte Vertreter*innen aus Praxis, Wissenschaft, Evaluation und fördermittelgebenden Institutionen zusammen, um Erfahrungen auszutauschen und neue Ansätze zu diskutieren.
Zentrale Erkenntnisse und Diskussionsfelder
Monitoring der Selbstevaluation in der Praxis
Ein Schwerpunkt der Tagung lag auf der Präsentation aktueller Forschungsergebnisse zur Verbreitung und Nutzung von Selbstevaluationsmethoden in der Praxis. Ian Kattein und Andreas Uhl vom Institut für Interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung (IKG) stellten Ergebnisse einer bundesweiten Erhebung zu Evaluationskapazitäten vor. Sie zeigten auf, unter welchen Bedingungen Selbstevaluation als gewinnbringend wahrgenommen wird und wie die so gewonnenen Erkenntnisse in der praktischen Arbeit Anwendung finden.
Die Studie verdeutlichte sowohl die Potenziale als auch die Herausforderungen, die Praktiker*innen bei der Implementierung von Selbstevaluationsverfahren erleben. Dabei wurde sichtbar, dass Selbstevaluation längst nicht mehr nur als zusätzliche Belastung, sondern zunehmend als Chance für Qualitätsentwicklung und interne Lernprozesse verstanden wird.
Vielfältige Perspektiven aus der Praxis
Die Podiumsdiskussion mit Vertreter*innen der Fachpraxis und Auftraggebenden bot einen facettenreichen Einblick in die praktische Anwendung von Selbstevaluationsmethoden. Pierre Asisi (ufuq.de) beleuchtete Herausforderungen in der historisch-politischen Bildung, während Toma El-Sarout (basa e.V.) praktische Erfahrungen aus der digitalen Jugendarbeit zum Klimawandel einbrachte. Svetla Koynova von Violence Prevention Network stellte interne wissenschaftliche Ansätze zur Selbstevaluation in der Extremismusprävention vor, die ergänzt wurden durch die Förderperspektiven von André Nagel (Bundeszentrale für politische Bildung), Timo Reinfrank (Amadeu-Antonio-Stiftung) und Dr. Anneli Rüling (BMFSFJ).
Die Diskussion machte deutlich, dass Selbstevaluation kontextspezifisch, bedarfsorientiert und in Anlehnung an die Projektpraxis entwickelt werden muss. Besonders die Frage nach der Balance zwischen externer Rechenschaftslegung, interner Qualitätssicherung und formativer Weiterentwicklung erwies sich als zentral.
Gelingensfaktoren und Gütekriterien
Dr. Susanne Giel vertiefte in ihrer Keynote die konzeptionellen Grundlagen erfolgreicher Selbstevaluationen. Sie betonte die Notwendigkeit klarer Begriffsbestimmungen und ordnete Selbstevaluation in den breiteren historischen Kontext von Evaluation und Qualitätsentwicklung ein. Besonders hervorzuheben sind die von ihr identifizierten Gelingensfaktoren: ausreichende zeitliche und personelle Ressourcen, methodische Kompetenzen, klare Zielsetzungen und eine Organisationskultur, die Lernen und Reflexion unterstützt.
Die Referentin warnte vor unrealistischen Erwartungen und machte deutlich, dass Selbstevaluation kein kostengünstiger Ersatz für externe Fremdevaluation sein kann, sondern vielmehr eine Ergänzung darstellt, die spezifische Vorteile bietet – insbesondere den direkten Zugang zu praxisrelevanten Informationen und die Möglichkeit kontinuierlicher Anpassungen.
Innovative Ansätze und Methoden
Demokratie-Index als Selbstevaluationstool
Ein besonders praxisrelevanter Ansatz wurde im Workshop zum Demokratie-Index vorgestellt. Dieses am Institut für Sozialarbeit und Sozialpädagogik (ISS) entwickelte Instrument ermöglicht es Partnerschaften für Demokratie im Bundesprogramm Demokratie leben! ihre "demokratische Qualität" selbst zu bewerten. Das Tool bietet im Zusammenspiel von Fremd- und Selbstevaluation quantitative Vergleichsoptionen auf der Programmebene und kann für Benchmarking-Prozesse genutzt werden.
Digitale Herausforderungen und Lösungsansätze
Der Workshop zu digitalen Bildungs- und Präventionsprojekten beleuchtete die besonderen Potenziale und Herausforderungen der Wirkungsmessung im digitalen Raum. Auch eine im Rahmen der Evaluation des Bundesprogramms Demokratie leben! entwickelte Indikatoren-Toolbox zur Selbstevaluation war Gegenstand der Betrachtung. Es wurde deutlich, dass traditionelle Evaluationsmethoden oft nicht ausreichen und innovative Ansätze entwickelt werden müssen, die den spezifischen Eigenschaften digitaler Interventionen gerecht werden.
Machtkritische Perspektiven
Der Workshop zur Auseinandersetzung mit machtkritischen Aspekten der Selbstevaluation problematisierte verschiedene Machtebenen: von der Verpflichtung zur Selbstevaluation durch Fördermittelgeber über interne Hierarchien bis hin zu der Frage, inwieweit einzelne Teilnehmende zur Mitwirkung an Evaluationen verpflichtet werden können. Diese Reflexion zeigte auf, dass Selbstevaluation nicht per se partizipativer oder emanzipatorischer ist als externe Evaluation, sondern bewusst gestaltet werden muss, um derartige Machtverhältnisse nicht zu reproduzieren.
Besondere Zielgruppen und methodische Anpassungen
Evaluation von Polizeifortbildungen
Ein konkretes Beispiel für zielgruppenspezifische Anpassungen bot der Workshop zur Evaluation von Polizeifortbildungen. Hier wurde deutlich, wie Evaluationsinstrumente kontinuierlich weiterentwickelt und an die spezifischen Anforderungen der Zielgruppe angepasst werden müssen. Die Erfahrungen zeigten sowohl die Potenziale als auch die Grenzen standardisierter Evaluationsinstrumente auf.
Wirkkonzeption in der Selbstevaluation
Ein wichtiger Fokus der sekundären und tertiären Extremismusprävention liegt auf dem Vertrauensaufbau zu Klient*innen. Der Workshop zu Wirkkonzeptionen thematisierte diesen Aspekt als Wirkung und Wirkvoraussetzung. In praktischen Übungen in Kleingruppensettings wurde erprobt, wie ein Beziehungsaufbau als Teil von Wirkanalysen untersucht werden kann – etwa durch die Verwendung einschlägiger „Tagebuchnotizen“. So wurde gezeigt, wie wichtig Wirkkonzeptionen von Maßnahmen für die Konzeption von Selbstevaluationen sind.
Herausforderungen und Ausblick
Die Tagung machte deutlich, dass wir trotz vieler positiver Entwicklungen im Bereich der Selbstevaluation noch vor erheblichen Herausforderungen stehen. Dazu gehören:
Ressourcenfragen: Selbstevaluation benötigt Zeit, Personal und methodische Kompetenzen. Viele Organisationen sind hier noch nicht ausreichend ausgestattet. Es gilt, praxisnahe Methoden und Ansätze zu entwickeln, die den Möglichkeiten und Kapazitäten der Zivilgesellschaft entsprechen und zugleich verwertbare Daten hervorbringen.
Qualitätssicherung: Wie kann Selbstevaluation in Projekten und Organisationen in kontinuierliche Qualitätssicherung und die formative Entwicklung von Ansätzen integriert werden? Hierfür müssen in Projekten personelle und zeitliche Ressourcen und möglichst auch Unterstützungsstrukturen in Trägerorganisationen verankert werden, um Kontinuität zu ermöglichen.
Selbst- und Fremdevaluation: Wie können die Vorteile einer praxisnahen Selbstevaluation sinnvoll mit den Möglichkeiten von Fremdevaluation verbunden werden? Externe Evaluierende können systematische Qualifizierungen von Praktiker*innen in Methoden zur Selbstevaluation und ggf. bei der Konzipierung eines selbstevaluativen Vorgehens unterstützen.
Berichtslegung: Wie können Erkenntnisse der Selbstevaluation über den internen Gebrauch hinaus nach außen und insbesondere an Fördereinrichtungen kommuniziert werden? Hierzu sollten Fördereinrichtungen klare Handreichungen und Unterstützung anbieten.
Wissenschaftliche Begleitung: Die Praxis ist der Wissenschaft oft voraus, was das Wissen über Wirkmöglichkeiten und -mechanismen betrifft. Evaluierende und Wissenschaft sollten befähigt werden, Wirkerkenntnisse aus der Praxis zu konzeptualisieren und sowohl in Handreichungen für die Praxis als auch in Form von wissenschaftlichen Fachpublikationen zu veröffentlichen.
Fazit
Die Tagung machte deutlich, dass Selbstevaluation dann erfolgreich ist, wenn sie als integraler Bestandteil von Projektpraxis und Qualitätsentwicklungsprozessen verstanden und entsprechend mit Ressourcen ausgestattet wird. Die Vielfalt der vorgestellten Ansätze zeigt, dass es nicht die eine richtige Methode gibt, sondern dass kontextspezifische Lösungen entwickelt werden müssen, die den jeweiligen Zielen, Zielgruppen, Projektansätzen und Rahmenbedingungen gerecht werden. Dabei sind kontinuierliche Kooperationen und Wissenstransfer zwischen Praxis und Evaluationsforschung zentral, um Kompetenzen und Erkenntnisse gemeinsam weiterentwickeln und an neue Bedarfe anpassen zu können.